Lesemonat Juni 2020

Hallo ihr Lieben und schön, dass ihr wieder da seid! 🙂

Der Juni ist irgendwie schon wieder verflogen (das liegt wahrscheinlich daran, dass das Semester bei mir wieder langsam dem Ende zu geht – da ist immer so viel zu tun, dass die Zeit nur so rast). Auf jeden Fall war der Juni ein wirklich erstaunlicher Lesemonat für mich – ich bin wahrscheinlich noch nie produktiver in einen Lesemonat gestartet – nur, um dann ab Mitte des Monats in eine totale Leseflaute zu verfallen. Den Grund für die Leseflaute werde ich euch dann aber im Juli näher erläutern. Jetzt erstmal zu den Büchern, die ich geschafft habe diesen Monat zu beenden:

  • „Am kürzeren Ende der Sonnenallee“ von Thomas Brussig
  • „The Couple Next Door“ von Shari Lapena
  • „Tausend kleine Lügen“ von Liane Moriarty
  • „Wie man die Zeit anhält“ von Matt Haig

„AM KÜRZEREN ENDE DER SONNENALLEE“ von Thomas Brussig

Cover „Am kürzeren Ende der Sonnenallee“

Auch, wenn dieses Buch schon etwas älter ist, wollte ich es unbedingt mal lesen. Es handelt von Micha Kuppisch, einem Teenager der am kürzeren Ende der Sonnenallee in Ost-Berlin lebt, direkt neben der Mauer. Dabei wird die Geschichte auch aus seiner Sicht erzählt, der gewissermaßen über seine Jugendzeit berichtet. Falls ihr euch jetzt fragt, was es mit diesem „kürzeren Ende der Sonnenallee“ auf sich hat: Die Sonnenallee verläuft in der Geschichte tatsächlich sowohl durch Ost- als auch durch West-Berlin. Dabei gehören sage und schreibe sechzig Meter dieser Allee in den Osten – während der Rest im Westen hinter der Mauer liegt. Dort steht das Haus, in dem Micha mit seiner Familie wohnt.

Die Geschichte beschreibt das Teenagerleben von Micha und seinen Freunden und ihren Träumen, Plänen und Sorgen. Während Michas Kumpel Wuschel beispielsweise halb Ost-Berlin auf den Kopf stellt, um an die neuesten Schallplatten aus dem Westen zu kommen, treiben Micha ganz andere Sorgen um: Er ist in die wunderschöne Miriam verliebt, von der er sogar einen Liebesbrief bekommen hat – leider ist dieser durch ein Missgeschick aber direkt in der Todeszone der Mauer gelandet. Daher muss ein Plan her. Und dies sind nicht die einzigen Beispiele, wie die Jungs im Umfeld der Sonnenallee erfinderisch werden, um sich auf ihre eigene Weise ihre Wünsche im politischen Regime der DDR erfüllen zu können. Dabei gibt es nicht nur zutiefst herzerwärmende, rührende und humorvolle Szenen – so wird auch deutlich, unter welchem Druck die Bevölkerung im Osten zur Zeit der Teilung Deutschlands gestanden hat. So lernen wir Michas Familie kennen, in der zwar jeder sein Bestes gibt, um als mustergültiger Bürger der DDR gelten zu dürfen – auch, wenn es im Innersten dieser Menschen oft ganz anders aussieht und der Gedanke an Flucht und Verzweiflung größer ist, als man je ahnen würde.

Das Buch ist geprägt von einem feinen und warmherzigen Humor, der das DDR-Regime mit einer großartigen Mischung aus humorvollem, leichten Augenzwinkern auf der einen Seite und einer tiefgründigen, manchmal ganz leisen, feinen Kritik auf die Schippe nimmt und ihm dabei auf entwaffnende Weise den Spiegel vorhält. Dabei bleiben zwischen all dem Schmunzeln aber auch jene Momente, die einen berühren und dazu bringen, erstmal tief durchatmen, nicht aus.

Das Buch ist aus meiner Sicht heute wichtiger denn je: Denn es zeigt uns (egal, ob wir damals schon auf der Welt waren oder nicht) auf eindringliche Art auf, wie wichtig und wertvoll Demokratie und der Rechtstaat mit einer freiheitlich-demokratischen Grundordnung ist. Wir nehmen all das heute als selbstverständlich hin – und doch haben wir es der Demokratie zu verdanken, dass wir mit all den Freiheiten ausgestattet sind, die wir heute genießen dürfen. Dabei ist das Buch eine wertvolle Erinnerung daran, dass Demokratie nicht selbstverständlich ist und das sie etwas Wertvolles ist, das es zu beschützen gilt.

Ein Abschnitt dieses Buches, der mir noch lange in Erinnerung bleiben wird, spiegelt auf wunderbare Art und Weise die feinsinnige Nachdenklichkeit dieses Buches wider:

„Wir stürmten in die Zukunft, aber wir waren sowas von gestern. Mein Gott, waren wir komisch, wir haben es nicht mal gemerkt […] Wer wirklich bewahren will, was geschehen ist, der darf sich nicht den Erinnerungen hingeben. Die menschliche Erinnerung ist ein viel zu wohliger Vorgang, um das Vergangene nur festzuhalten; sie ist das Gegenteil von dem, was sie zu sein vorgibt. Denn die Erinnerung kann mehr, viel mehr: Sie vollbringt beharrlich das Wunder, einen Frieden mit der Vergangenheit zu schließen, in dem sich jeder Groll verflüchtigt und der weiche Schleier der Nostalgie über alles legt, was mal scharf und schneidend empfunden wurde. Glückliche Menschen haben ein schlechtes Gedächtnis und reiche Erinnerungen.

Wenn ihr eine heitere und zugleich nachdenkliche und warmherzig erzählte Geschichte aus Zeiten der DDR lesen möchtet, sei euch „Am kürzeren Ende der Sonnenallee“ sehr ans Herz gelegt – mich hat es bewegt und mir hat es unheimlich gut gefallen.

Das Buch ist im Fischer-Taschenbuch-Verlag erschienen und hat 157 Seiten (das heißt, dass man es auch wirklich ganz entspannt mal an einem Abend durchlesen kann 😉 )

„THE COUPLE NEXT DOOR“ von Shari Lapena

Cover „The Couple Next Door“

Bei dem Thriller „The Couple Next Door“ von Shari Lapena hat mich der Klappentext sofort gefangen genommen. Es geht um das Ehepaar Anne und Marco, die eines Abends bei ihren Nachbarn zu einer Dinnerparty eingeladen sind. Da die Gastgeberin Cynthia einen entspannten Abend unter Erwachsenen ausrichten möchte, entscheiden sich Anne und Marco schweren Herzens dazu, ihre kleine Tochter Cora, die noch im Säuglingsalter ist, zuhause zu lassen. Da sie die ganze Zeit das Babyfon dabei haben, geht das schon in Ordnung, meinen sie. Obwohl die beiden auch alle 30 Minuten abwechselnd voneinander nach der Kleinen sehen, geschieht am Ende des Abends aber das Unfassbare: Als Anne und Marco nach Hause kommen, ist das Kinderbettchen leer und Cora ist spurlos verschwunden. Eine atemlose Suche mit Fahnung der Kriminalpolizei beginnt – und bald soll nichts und niemand mehr ausgeschlossen werden, wenn es um die Auklärung von Coras Verschwinden geht.

Die Geschichte wird abwechselnd aus Annes und Marcos Sicht erzählt, gelegentlich erfährt man auch mehr aus der Perspektive des leitenden Ermittlers Rasbach. Sprachlich findet die Erzählung dabei im Präsens, in der dritten Person Singular statt. Diese Erzählweise war für mich anfangs doch so gewöhnungsbedürftig, dass ich wirklich eine Weile brauchte, um mich in den Stil und die Geschichte einzufinden. Als dies aber gelungen war, konnte ich unheimlich gut in die Geschichte abtauchen.

Während ich zunächst noch glaubte, dass die Geschichte in eher langsamem Tempo erzählt würde, nahm sie nach einiger Zeit dann doch merklich Fahrt auf. Bald folgten in rasantem Tempo einige Wendungen aufeinander, die mich doch teilweise echt überrascht und sehr gut unterhalten haben. Nebenher werden immer düstere Geheimnisse aller Beteiligten aufgedeckt, bei denen ich doch das ein oder andere Mal etwas durchschnaufen musste.

Eine besonders düstere Atmosphäre erschafft Shari Lapena unter anderem auch dadurch, dass sie die Geschichte mit der Thematik um psychische Erkrankungen verwebt. Dabei geht sie (wie ich finde sehr glaubwürdig) auf Annes postpartale Depression ein, die ihr unheimlich zu schaffen macht. Anne verzweifelt immer mehr und versinkt nach dem Verschwinden ihrer Tochter immer mehr in einer erdrückenden Düsternis aus Schuldgefühlen und blankem Horror – schließlich hat die Polizei kaum Hoffnung, Cora noch lebend aufzufinden. Obwohl ich es an sich immer spannend finde, wenn auch psychologisch interessante Komponenten Eingang in Geschichten finden, muss ich allerdings sagen, dass ich im Falle von „The Couple Next Door“ doch auch etwas gespalten bin: Denn es bleibt nicht nur bei der Beschreibung von Annes postpartaler Depression. Auch ein weiteres, ganz anderes Störungsbild einer Person der Geschichte spielt eine wichtige Rolle (ich gehe nicht genauer darauf ein, um nicht zu spoilern) – und auch, wenn Shari Lapena diesen unheimlichen Aspekt sehr spannend und gekonnt in ihren Thriller integriert, war ich mir doch nicht sicher, ob ich damit so wirklich glücklich bin. Natürlich bin ich mir dessen bewusst, dass Thriller geschrieben werden um zu unterhalten und den Leser zu schockieren und in Atem zu halten. Das bedeutet, dass sie nicht den Anspruch erheben oder die Absicht bzw. den Zweck haben, in irgendeiner Weise Aufklärung zum Thema psychische Erkrankungen zu betreiben – allerdings geschieht in „The Couple Next Door“ genau das, was in so vielen Thrillern passiert: Psychische Erkrankungen werden als Stilmittel verwendet, um die gesamte Düsternis und den dunkelsten Horror der menschlichen Seele heraufzubeschwören. Auch, wenn dies der Geschichte natürlich das entsprechende Gänsehautfeeling verliehen hat, hilft eine solche Vorgehensweise natürlich überhaupt nicht dabei, Vorurteile und Stigmata auszuräumen, die leider immer noch in der Gesellschaft im Hinblick auf psychische Erkrankungen vorhanden sind.

Ihr merkt, ich war an dieser Stelle irgendwie zwiegespalten: Auf der einen Seite hat mich „The Couple Next Door“ wirklich großartig unterhalten: Eine bedrückende, unterschwellig-panische Stimmung in einer zutiefst düsteren und undurchsichtigen Erzählatmosphäre – das hat mir sehr gut gefallen, hat mich gegruselt und unheimlich gut unterhalten. Allerdings hätte ich mir wenigstens ein entsprechendes Nachwort gewünscht, in dem Shari Lapena nochmals auf die von ihr thematisierten psychischen Störungsbilder eingeht.

Wenn ihr einen sehr spannenden, dunklen und bedrückenden Thriller lesen möchtet, der ganz bestimmt mit der ein oder anderen Überraschung aufwartet und buchstäblich bis zur letzten Seite fesselt, dann kann ich euch „The Couple Next Door“ sehr empfehlen. Ich werde mir definitiv noch weitere Bücher von Shari Lapena zulegen, da mir ihre Art und Weise, Geschichten aufzubauen sehr gefallen hat.

Das Buch ist im Lübbe-Verlag erschienen und hat 325 Seiten.

„TAUSEND KLEINE LÜGEN“ von Liane Moriarty

Cover „Tausend kleine Lügen“

Dieses Buch hatte ich schon lange auf meiner Wunschliste und ich konnte es kaum erwarten, damit anzufangen. Ich hatte erwartet, eine Art Mystery-Geschichte vor mir zu haben, die vielleicht in Richtung von „Pretty Little Liars“ im Kontext von erwachsenen Protagonisten gehen würde. Daher hatte ich zwar eine spannende, aber thematisch keine allzu ernsthafte oder tiefgründige Story erwartet. Wie sich herausgestellt hat, sollte ich mich in meiner Erwartungshaltung ordentlich getäuscht haben – denn der Roman „Tausend kleine Lügen“ war ganz anders (… und ich kann euch schonmal verraten: Es hat sich einen Platz unter meinen Jahreshighlights 2020 gesichert!).

Der Roman erzählt die Geschichte dreier Frauen, die in dem kleinen australischen Küstenörtchen Pirriwee leben. Da ist Jane, eine junge, alleinerziehende Mutter Anfang 20, die mit ihrem kleinen Sohn Ziggy scheinbar aus einer Laune heraus neu nach Pirriwee gezogen ist. Bald macht Jane die Bekanntschaft der resoluten und humorvollen Powerfrau Madeline, deren jüngste Tochter mit Janes Sohn Ziggy gemeinsam eingeschult wird. Als dritte Frau im Bunde ist da noch die atemberaubend schöne Celeste, die mit ihren Gedanken manchmal ein bisschen abwesend zu sein scheint. Ihre beiden Zwillingssöhne gehen ebenfalls in dieselbe Klasse wie Ziggy.

Die Geschichte beginnt am ersten Schultag der Kleinen, als Jane und ihr Sohn Ziggy gleich auf das Radar der Schulgemeinschaft geraten: Ein kleines Mädchen wirft Ziggi nämlich vor, sie in der Schule angegriffen und brutal gewürgt zu haben. Obwohl Jane den Unschuldsbeteuerungen ihres eigentlich sehr sanftmütigen Sohnes glaubt, entspinnt sich ab hier im idyllischen Küstenstädtchen Pirriwee eine brodelnde Atmosphäre voller Gerüchte, Geheimnisse, Lügen und Intrigen die schließlich gegen Ende des Buches in einer dramatischen Katastrophe auf einem abendlichen Schulfest gipfelt, bei der sogar ein Mensch getötet wird…

Die Geschichte fängt zwar einige Monate vor der erwähnten Katastrophe an, jedoch beginnt jedes Kapitel immer aus einer Art Rückschau mit den zunächst verwirrend anmutenden Aussagen unterschiedlicher Einwohner der Stadt, die sich der Polizei gegenüber zu den Geschehnissen äußern, die zum Tod einer Person auf dem Schulfest gegen Ende des Buches geführt haben sollen. Am Anfang hat mich dies sehr verwirrt, da ich immer das Gefühl hatte, so viele Stimmen und Meinungen kaum verstehen oder verarbeiten zu können. Irgendwie fühlte sich das an, als würden wahnsinnig viele Menschen „durcheinanderquatschen“ und mir den Durchblick in der Geschichte erschweren. Nach einiger Zeit kam ich aber viel besser mit und dann merkte ich, dass genau dies ein geniales Stilmittel der Autorin war: Vor jedem Kapitel (das dann ganz normal die chronologische Geschichte der drei Frauen Jane, Madeline und Celeste weitererzählt) kommen erst alle möglichen Leute mit ihren teilweise infamen und unbegründeten Anschuldigungen, unqualifizierten Meinungen und sensationssüchtigen Gerüchten zu Wort. So spürt der Leser mit der Zeit immer stärker, unter welchen Druck Jane und ihre Freundinnen zunehmend geraten. Die Kapitel werden immer abwechselnd aus Janes, Madelines und Celestes Perspektive erzählt (wenn auch in dritter Person Singular und nicht als Ich-Erzählungen).

Wiegesagt, hatte ich eher leichtere Mystery-Krimi-Kost mit einem Touch „Desperate Housewives“ und „Pretty Little Liars“ erwartet. Und auch, wenn es davon durchaus auch einige Elemente gab, ist dieser Roman doch so unfassbar viel facettenreicher, viel tiefgründiger, eindringlicher und streckenweise erschütternder. Ich hätte nie erwartet, dass sich dieses Buch mit so ernsthaften und psychologisch hochinteressanten Themen wie häuslicher und sexueller Gewalt und körperlichem Missbrauch befassen würde. Relativ bald in der Geschichte schauen wir in Pirriwee nämlich hinter die scheinbar perfekten Fassaden der scheinbar perfekten Familien.

Was mich an diesem Buch unfassbar beeindruckt und berührt hat ist vor allem die Tatsache, dass Liane Moriarty hier drei unglaublich sympathische Protagonistinnen erschaffen hat, die man einfach sofort ins Herz schließen muss. Dabei sind große Teile des Buches den Gedanken und innerlichen Reflexionen der drei Frauen gewidmet. Und selbst, wenn man sich als Leser zunächst niemals vorstellen könnte, solche Druck- und teilweise Gewalterfahrungen zu erdulden wie die Protagonistinnen (schließlich würden wir als Leser uns so etwas Ungeheuerliches NIE gefallen lassen, oder?!), schafft Liane Moriarty hier etwas Großartiges: Durch die unheimlich sympathischen Protagonistinnen auf der einen Seite und deren so unfassbar glaubwürdigen und zutiefst realistischen Reflexionen werden ihre jeweiligen Erfahrungen und Lebenssituationen in all ihrer Grausamkeit und Verzweiflung für den Leser plötzlich nachvollziehbar und verständlich. Ich hätte mir so etwas nie vorstellen können: Doch plötzlich habe ich mich mehrfach dabei ertappt, wie ich immer wieder nickte und auf einmal wirklich begann nachvollziehen zu können, was eine Frau dazu bringt, häusliche oder sexuelle Gewalt zu erdulden und über längere Zeit hinweg auszuhalten. Und all das, ohne entsprechende Konsequenzen zu ziehen. Liane Moriarty hat hier sehr eingehend recherchiert und schafft durch dermaßen empathische Reflexionen, die sie ihre Protagonistinnen erleben lässt, dass wir Leser plötzlich merken: Wir würden uns wahrscheinlich auch nicht anders verhalten. Auf geniale und höchstempathische Weise (und ganz ohne nervigen Zeigefinger) führt Liane Moriarty ihren Lesern und der Gesellschaft im Ganzen vor Augen, dass das Erdulden von häuslicher Gewalt nichts mit Schwäche zu tun hat.

Darüber hinaus haben die drei Protagonistinnen alle ihre persönlichen, mehr oder weniger düsteren Geheimnisse – die wir im Laufe der Zeit lüften und verstehen lernen. Hier hat mich Liane Moriarty vor allem damit überrascht, dass sie alle Bereiche dieser spannenden Geschichte zum Schluss auf unerwartete Weise zusammenführt und verdichtet – dies gipfelt schließlich in einem furiosen Finale, bei dem ich erstmal durchatmen musste.

Auch, wenn meine Beschreibung des Buches sich vermutlich extrem ernsthaft liest und nach richtig schwerer Kost klingt: Lasst euch bitte davon nicht abschrecken (es sei denn, dass die oben genannten Themen für euch persönlich Trigger sein könnten – dann würde ich euch hiermit unbedingt eine Triggerwarnung mitgeben wollen)! Normalerweise bin ich bei Geschichten mit Themen, wie sie in „Tausend kleine Lügen“ auftauchen, eher zögerlich. Aber ich kann euch wirklich nur empfehlen, dieses Buch zu lesen: Denn zum einen sorgen die drei großartigen, liebenswerten Protagonistinnen mit ihren zutiefst verständlichen Reflexionen dafür, dass man sich sofort mit ihnen verbunden fühlt – fast, als würde man etwas über eine richtig tolle Freundin lesen, die man ins Herz geschlossen hat. Zum anderen erschafft Liane Moriarty aller Ernsthaftigkeit zum Trotz auch sehr viele humorvolle Szenen, in denen ich wirklich sehr schmunzeln musste. Außerdem hat das Buch einfach eine tolle, fast heimelig-sommerliche Atmosphäre – irgendwie war ich unfassbar gerne im gemütlichen Küstenstädtchen Pirriwee unterwegs. Des Weiteren gibt es zum Schluss auch noch eine kleine, sehr niedliche, warmherzig erzählte Liebesgeschichte, die überhaupt nicht kitschig ist und sich einfach nur toll liest (…und normalerweise bin ich ja eher kein Fan von Liebegeschichten).

Insgesamt war „Tausend kleine Lügen“ ein echter Volltreffer für mich. Ich mochte Liane Moriarty tatsächlich so gerne lesen, dass ich mir gleich noch ein paar weitere Bücher von ihr geholt habe. Große Leseempfehlung und definitiv ein Highlight für mich im Jahr 2020!

Das Buch ist im Lübbe-Verlag erschienen und hat 492 Seiten.

„WIE MAN DIE ZEIT ANHÄLT“ von Matt Haig

Cover „Wie man die Zeit anhält“

Tom Hazard scheint ein ganz normaler Mensch zu sein, wie du und ich. Er lebt seit kurzem in London, hat als Geschichtslehrer an einer Schule angefangen und hat eine neue, bezaubernde Kollegin, die Französischlehrerin Camille kennengelernt. Doch Tom hat ein schwerwiegendes Geheimnis: Obwohl er aussieht, als wäre er 40 Jahre alt, lebt er doch in Wirklichkeit schon seit über 400 Jahren.

Aufgrund einer seltenen genetischen Disposition altert Tom extrem langsam. Dabei hat er schon das Elisabethanische England erlebt, in Zeiten, als Shakespeare selbst auf der Bühne stand und die Pest durch Europa fegte. Er hat Captain Cook auf seine Reisen in die Südsee begleitet und hat im Paris der 20er Jahre für Flapper-Girls Klavier gespielt. Er hat so vieles erlebt, und all dies hat seinen Preis: Abgesehen davon, dass er alle sieben Jahre seine Identität und seinen Wohnort wechseln muss, ist er dazu noch unendlich einsam und trägt die Last von schmerzhaften Erinnerungen aus Jahrhunderten mit sich. Was ihn aufrecht erhält, ist die unermüdliche Suche nach seiner Tochter Marion.

Seine Kollegin Camille scheint seinen Panzer langsam aufzubrechen, doch Tom muss aufpassen – denn sich zu verlieben, wäre nicht nur ein extrem schwieriges und schmerzhaftes Unterfangen. Es wäre auch sehr gefährlich. Denn Tom muss sich an die Regeln der Albatross-Gesellschaft halten, einer undurchsichtigen Untergrundorganisation, die Menschen wie ihn beschützt und nach ihren eigenen, rücksichtslosen Regeln spielt.

Vorab kann ich schonmal sagen: Ich mochte dieses Buch unheimlich! Zum einen ist es in mehrere Erzählstränge aufgeteilt, die zu unterschiedlichen Zeiten in Toms Lebens spielen: So erleben wir Tom unter anderem im Elisabethanischen England, aber auch in der Südsee im 18. Jahrhundert oder im Paris der 20er Jahre. Diese Stellen wechseln sich mit der Gegenwart ab, in der Tom in London als Geschichtslehrer lebt. Dabei waren die Kapitel von ihrer Länge her immer angenehm – nicht zu lang und nicht zu kurz, sodass stets viel Abwechslung in der Erzählung gegeben war.

Was mich an dieser Geschichte aber am meisten fasziniert und berührt hat, war die Weisheit, die so oft aus diesem Buch spricht und so wunderbar zum feinsinnigen Schreibstil von Matt Haig passt. So stellt Tom an einer Stelle fest, dass ein Problem der Menschheit ihr kurzes Leben ist: Denn würden wir alle nur lange genug leben, würde jeder Mensch feststellen, dass Dinge wie Nationalität, Hautfarbe oder Zugehörigkeit zu irgendwelchen Schichten und Gruppen keine große Bedeutung haben. Denn jeder wäre im Laufe der Jahrhunderte irgendwann einmal Gewinner und irgendwann einmal Verlierer. Irgendwann würde jeder die Erfahrung machen, wie es ist, seine Heimat zu verlieren oder Flüchtling zu sein und alles zu verlieren, was man liebt. Diesen Gedanken fand ich einfach so tiefgründig und wahr! Ich hätte mir einige Stellen dieser Art aus dem Buch herausschreiben können (…vielleicht hole ich das noch wirklich nach!) 🙂

Einziger kleiner Kritikpunkt meinerseits wäre, dass das Ende (und eine wesentliche Erkenntnis Toms) für mich etwas zu schnell kommt – hier hätte ich mir gewünscht, dass sich Matt Haig mehr Zeit gelassen hätte, um diese Entwicklung am Ende langsamer aufzubauen.

Wenn ihr eine tiefgründige Geschichte mit historischem Flair, feinsinniger Sprache und sympathischen Charakteren lesen möchtet, die euch einige weise Gedanken mit auf den Weg gibt, sei euch „Wie man die Zeit anhält“ von Matt Haig ans Herz gelegt.

Das Buch ist im dtv-Verlag erschienen und hat 380 Seiten.

(Unbezahlte) Werbung – wegen Markennennung.